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Energiewende und ihre Auswirkungen auf die Schweißindustrie

28. Oktober 2024 | 

Wir haben uns mit Pierre Gérard, Global Key Account Manager und Branchenexperte, zu einem exklusiven Interview getroffen, um über die Energiewende und ihre Auswirkungen auf die Schweißindustrie zu sprechen. Lesen Sie weiter, um spannende Einblicke zu erhalten.

Um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, müssen die Kohlendioxid (CO2)-Emissionen bis 2022 um etwa 37 Gigatonnen (Gt) reduziert werden, und der Energiesektor muss bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen.

Im folgenden Interview erläutert Pierre Gérard, Global Key Account Manager und Leiter des Industriesegments bei voestalpine Böhler Welding, die entscheidende Rolle der Schweißindustrie bei diesem Übergang und konzentriert sich dabei auf Projekte in den Bereichen Windkraft, Wasserstoff, Ammoniakproduktion und Kohlenstoffabscheidung.

Laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von derzeit 28 Prozent bis 2030 auf 68 Prozent und bis 2050 auf 91 Prozent steigen.

Pierre Gèrard

Was bedeutet das für die Industrie im Allgemeinen und wie reagiert die Schweißindustrie und voestalpine Böhler Welding auf diese Veränderungen?

Im Stromerzeugungssektor findet eine deutliche Verlagerung hin zu emissionsarmen Energiequellen wie Kernenergie und erneuerbaren Energien wie Solar-, Wind- und Wasserkraft statt. Es wird erwartet, dass diese Quellen in den nächsten drei Jahren den gesamten Anstieg der weltweiten Nachfrage decken werden, wobei die erneuerbaren Energien die Kohle überholen und bis Anfang 2025 mehr als ein Drittel der gesamten weltweiten Stromerzeugung ausmachen werden.

Darüber hinaus wird erwartet, dass die Stromerzeugung aus Kernenergie bis 2025 ein neues Rekordniveau erreicht. Asien wird das Wachstum in diesem Sektor anführen. In welchen Regionen wird am meisten investiert? Der größte Anstieg der Stromnachfrage wird in China erwartet, während Indien das schnellste Wachstum in diesem Bereich verzeichnen wird.

Die Schweißindustrie spielt bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle.  Der Anstieg der Windenergieerzeugung und somit die Herstellung von Windturbinen resultiert in einen Anstieg an Kohlenstoff-Mangan-Stähle (CMn) die natürlich geschweißt werden müssen. Aufgrund der Größe der Windkraftkomponenten ist der Einsatz von dem UP Schweißverfahren vorrangig.  Unser Werk in Hamm, Deutschland, hat spezielle Schweißzusätze entwickelt, die den höchsten technischen Anforderungen des Marktes entsprechen. Neben dem UP-Verfahren verfügt unser Werk in Cittadella (Italien) über ein großes Know-how im Bereich der nahtlosen Fülldrähte für das FCAW-Schweißen von Windkraftkomponenten.  Kriechfeste Werkstoffe die üblicherweise für die Herstellung von Kraftwerkskesseln verwendet werden einen Rückgang verzeichnen.  Natürlich ist die Windenergie nicht die einzige Antwort auf die Energiewende, da ihre Verfügbarkeit schwankt. Natürlich sind  andere Maßnahmen erforderlich um ein Netto-Null-Ziel zu erreichen. Diese Frage kann dann mit der Erzeugung von Wasserstoff, Ammoniak oder auch CO2-Abscheidung beantwortet werden.

Sie haben bereits Wasserstoff erwähnt. Wie wirkt sich das Ziel, bis 2030 125 Millionen Tonnen sauberen Wasserstoff zu produzieren, auf Projektinvestitionen und Schweißanwendungen in diesem aufstrebenden Sektor aus?

Wasserstoff gilt als Lösung für eine stabile Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und wird sich voraussichtlich zu einem beliebten Energieträger in einem integrierten Kreislauf erneuerbarer Energiequellen entwickeln.

Grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse in Verbindung mit der Erzeugung von grünem Strom hergestellt wird, wird in Zukunft von vielen Industriezweigen genutzt werden. Heute wird er je nach Bedarf der Industrie eingesetzt, z.B. in der Stahlindustrie zur Herstellung von grünem Stahl oder in Raffinerieprozessen, in Zukunft aber als Energieträger zur Stromerzeugung - in neu entwickelten Gasturbinen -, als Kraftstoff im Verkehrssektor oder zur Herstellung von grünem Ammoniak.

voestalpine Böhler Welding entwickelt Schweißzusatzwerkstoffe, die für diese neue industrielle Herausforderung geeignet sind, um die Zukunft des Wasserstofftransports und der Wasserstoffspeicherung zu unterstützen. Wasserstoff stellt für die Schweißindustrie eine besondere Herausforderung dar. Um flüssig zu werden, muss er auf extrem niedrige Temperaturen (-253°C) abgekühlt werden.

Die wichtigsten Werkstoffe für Tanks zur Lagerung von flüssigem Wasserstoff sind kryogene Edelstähle. Das Schweißen dieser Tanks erfordert Schweißlösungen, die beim Einsatz der Tanks in sehr niedrigen Temperaturen eine hohe Zähigkeit aufweisen. voestalpine Böhler Welding hat Lösungen für alle Schweißverfahren entwickelt, die sowohl den ASME- als auch den EN ISO-Standards entsprechen.

Wenn Wasserstoff im gasförmigen Zustand gelagert oder transportiert wird, müssen die Materialien besondere Anforderungen erfüllen. voestalpine Böhler Welding hat verschiedene Lösungen für das Schweißen unter hohem Druck und hoher Temperatur von Wasserstoff entwickelt und evaluiert und hat sich als Marktführer für das Schweißen in diesen Anwendungen erwiesen.

Die Herstellung von Ammoniak wird oft im Zusammenhang mit Wasserstoff diskutiert. Können Sie erklären, was "grünes Ammoniak" ist und welche besonderen Herausforderungen es für die Schweißindustrie mit sich bringt?

Grünes Ammoniak ist ein wesentlicher Bestandteil der Wasserstoffwirtschaft, sowohl als Rohstoff für die chemische Produktion als auch als Wasserstoffträger. Ammoniak ist sicherer zu lagern und zu transportieren als Wasserstoff, da es weniger explosiv ist. Nach dem Transport kann es wieder in Wasserstoff umgewandelt oder direkt in Anwendungen wie Turbinen zur CO2-freien Stromerzeugung eingesetzt werden.

Um eine sichere Lagerung und einen sicheren Transport zu gewährleisten, müssen Schweißingenieure die Spannungsrisskorrosion von kondensiertem, wasserfreiem Ammoniak berücksichtigen. Sie wählen Werkstoffe mit Zugfestigkeiten bis zu 70KSi (485 MPa) und verschweißen diese sorgfältig mit den entsprechenden Zusatzwerkstoffen. voestalpine Böhler Welding verfügt über die Erfahrung und das Portfolio für den Bau von Ammoniak-Lagertanks.

Die Produktion von Ammoniak wird sich bis 2050 verdreifachen. Ammoniak wird auch als Wasserstoffträger verwendet, um die Herausforderungen der Wasserstoffspeicherung und -verteilung zu bewältigen. Es gilt als kohlenstofffreier Kraftstoff für die Schifffahrt und als Brennstoff für die stationäre Stromerzeugung. Bis 2050 muss die Transportinfrastruktur für Ammoniak um den Faktor 10-15 wachsen, was jährliche Investitionen in die Ammoniakversorgungskette für Lagerung und Transport in zweistelliger Milliardenhöhe erfordert.

So werden bis 2050 etwa 235 Schiffe mit einer Kapazität von 85.000 Kubikmetern (m3 ) (58 kt Ammoniak) benötigt, um die zusätzlichen 354 Mio. t Ammoniak weltweit zu transportieren, wenn man von einer Fahrt alle zwei Wochen ausgeht. Dies bedeutet, dass bis 2050 alle zwei Monate ein Schiff für den Ammoniaktransport gebaut oder aus einem Flüssiggastanker umgebaut werden muss.

Die voestalpine Böhler Welding hat mit einem Branchenführer zusammengearbeitet, um ihre Schweißlösungen für das Schweißen dieser Tanks weiter zu verbessern und die Konstruktionsanforderungen an die Festigkeit und Härte des Schweißmaterials zu erfüllen.

Der IRENA-Bericht unterstreicht die Notwendigkeit erheblicher Investitionen in Technologien zur Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS). Welche Rolle spielt das Schweißen in diesen Projekten und ist voestalpine Böhler Welding bereit, die Anforderungen von CCUS zu erfüllen?

CCUS wird von entscheidender Bedeutung sein, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen, insbesondere für Branchen wie Zement, Petrochemie und Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen. Die Schweißindustrie wird an der Herstellung von Pipelines, Lagereinrichtungen und Behältern für den Transport von CO2 beteiligt sein. Bestehende Gassysteme können wiederverwendet werden, aber es wird auch zusätzliche Infrastruktur benötigt.

Schätzungen zufolge wird die weltweite Kapazität zur CO2-Abscheidung bis 2030 um das Elffache steigen, angeführt von den USA und Europa. Dementsprechend wird auch die CO2-Speicherkapazität voraussichtlich um das Zehnfache steigen. Die meisten CCUS-Projekte befinden sich noch in der Pre-FID-Phase, nähern sich aber der endgültigen Investitionsentscheidung.

Bestehende Gassysteme und Pipelines sollen künftig für den CO2-Transport genutzt werden, ebenso erschöpfte Öl- und Gasfelder oder saline Aquifere. Die Wiederverwendung bestehender Gassysteme spart zwar Investitionskosten, reicht aber nicht aus, um die erwarteten CO2-Mengen zu transportieren und zu speichern. Je nach Entfernung wird das CO2 über Pipelines oder in eigens dafür konstruierten Tanks transportiert.

Unser Stahlwerk in Linz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema CO2-Transport und -Speicherung und hat spezielle Stähle für diese Anwendungen entwickelt. Gemeinsam mit der voestalpine Böhler Welding können wir nun eine Komplettlösung für die Herstellung dieser Komponenten anbieten.

Was bedeutet die Energiewende für traditionelle CO2-intensive Industrien wie Öl und Gas? Sind hier Veränderungen absehbar?

Mittelfristig wird mit einem weiteren Nachfragewachstum in der Öl- und Gasindustrie gerechnet, das sich vor allem auf die Petrochemie verlagern wird. Die Öl- und Gasunternehmen investieren jedoch auch in erneuerbare Energiequellen wie Wasserstoff, CCS und Windkraft, auf die etwa 5 % ihrer Investitionsausgaben entfallen.

In diesem Industriesegment sehen wir in Zukunft einige zusätzliche Chancen. Beispielsweise werden typische Hersteller von Ausblasvorrichtungen oder Ventilen auch an der Lieferung von Ausrüstungen für die Kohlenstoffabscheidung beteiligt sein. Für die Injektion von CO2 in ein erschöpftes Gasfeld werden ähnliche Ausrüstungen benötigt wie für die Bohrung dieser Felder.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Segment der Öl- und Gasindustrie im Hinblick auf Schweißlösungen komplexer werden wird. Gas- und Kohlekraftwerke: Es wird keine Neuinvestitionen in die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen geben. Alle neuen Investitionen in die Stromerzeugung werden in grüne Energie oder Kernenergie fließen. Ja, das wird Auswirkungen auf die Schweißindustrie haben, mit einer klaren Verschiebung hin zu grünen Lösungen, aber voestalpine Böhler Welding ist darauf vorbereitet.

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